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Falsche Propheten oder woran erkenne ich einen Fachmann?

Kritische Betrachtung zum Einsatz selbst ernannter Spezialisten am Beispiel einer Thermografie zur Bestimmung einer Wärmebrücke.

Sachverhalt:

Im Zusammenhang mit der Erstattung eines Schiedsgutachtens wurde vom beauftragten Sachverständigen eine Spezialfirma hinzugezogen, die insbesondere klären sollte, ob der zu begutachtende Schimmelbefall in einer Raumecke, auf einen Baumangel zurückzuführen ist. Neben den örtlichen Untersuchungen (Thermografie) wurde von der beauftragten Firma auch eine Auswertung der Messergebnisse vorgenommen, d.h. die eigentliche Beweisfrage beantwortet.

Der schadensbetroffene Bereich befand sich in einer Raumecke, die gebildet wird aus einer Außenwand, einer Trennwand zu einem beheizten Raum und der Decke über Kellergeschoss. Das Kellergeschoss ist im zu betrachtenden Bereich nicht beheizt und weist eine größere öffnung in der Außenwand (Garage) auf. Sowohl die Außenwände des Kellergeschosses als auch die des Erdgeschosses bestehen im Wesentlichen aus einem Bruchsteinmauerwerk (Schiefer), auf das außenseitig ein Wärmedämm-Verbundsystem aufgebracht ist.

Während einer Ortsbesichtigung (Dezember) wurden von der beauftragten Firma folgende Daten ermittelt:

Außenlufttemperatur (ΘL,a): 10,0° C
Innenlufttemperatur (ΘL,i): 18,0° C
Oberflächentemperatur (ΘO,i): 14,6° C
rel. Luftfeuchtigkeit: 60 %

In der Stellungnahme der beauftragten Firma heißt es:

"...

3. Wärmebrückennachweis mittels Thermografie

Unabhängig von der damaligen Bauzeit und den damit verbundenen Ausführungsvorschriften wird nachfolgend die vorhandene Baukonstruktion hinsichtlich einer Tauwasser- bzw. Schimmelpilzgefahr grob bewertet. Hierzu wird der Temperaturfaktor fRsi (konstruktionsabhängige, dimensionslose Bewertungsgröße für Wärmebrücken) bestimmt (siehe Anlage 3, „Auszug aus der derzeit gültigen DIN 4108, Mindestanforderungen an den Wärmeschutz im Bereich von Wärmebrücken“).

Der Temperaturfaktor berechnet sich wie folgt:

fRsi = (ΘO,i – ΘL,a)/(ΘL,i – ΘL,a)

dabei sind:

ΘO,i = Oberflächentemperatur
ΘL,i = Innenlufttemperatur
ΘL,a = Außenlufttemperatur

Gem. DIN 4108, Ausgabe März 2001 soll der Temperaturfaktor > 0,70 sein.

Zur Beurteilung der baulichen Situation wurden von den betroffenen Bereichen (3-dimensionale Wärmebrücke) Thermogramme erstellt (siehe Foto 2 und 4).

...

Verwendet man nun die vor Ort ermittelten Messergebnisse und setzt diese in die o.a. Formel ein, ergibt sich ein Temperaturfaktor fRsi,vorh. von

fRsi = (14,6 -10,0)/(18-10,0) = 0,58

Dies bedeutet, dass im vorliegenden Fall aufgrund der vorhandenen Konstruktion eine Tauwassergefahr gegeben ist, da

fRsi,soll  >fRsi,vorh.
0,70  >0,58

ist. Die heutigen Mindestanforderungen an den Wärmeschutz im Bereich von Wärmebrücken werden nicht eingehalten.

4. Grobdiagnose

Die vorhandene Feuchtigkeit im Schlaf- und Badezimmer ist meines Erachtens nach auf einen mangelhaften Wärmeschutz (Wärmebrücke zum Keller) sowie ein nur teilweise akzeptables Nutzerverhalten zurückzuführen.

..."

Dieser Schlussfolgerung schloss sich der Sachverständige in seinem Schiedsgutachten kommentarlos an.

Beurteilung:

Die von der beauftragten Firma verwendete Formel zur Berechnung des Temperaturfaktors ƒRsi ist zunächst einmal richtig, nicht jedoch die Art und Weise, wie hier mit örtlich gewonnen Erkenntissen (Temperaturen) die Mindestanforderungen an den Wärmeschutz im Bereich von Wärmebrücken überprüft werden. Der Temperaturfaktor ƒRsi = 0,70 ist ein Wert, der gewährleisten soll, dass bei fest definierten Randbedingungen (siehe DIN 4108-2) auf Bauteiloberflächen (Wärmebrücken) keine Schimmelbildung entstehen kann.

Der Temperaturfaktor ist nicht dafür gedacht bzw. geeignet, aus einmalig gewonnen, beliebigen, instationären Temperaturen Aussagen über das Wärmedämmverhalten von Bauteilen bzw. Oberflächentemperaturen an Wärmebrücken zu machen. Die gleiche Formel ergäbe bei einer z.B. um ca. 1,5 K geringeren Innenlufttemperatur oder einer um ca. 3,5 K geringeren Außenlufttemperatur, jeweils bei gleicher Oberflächentemperatur, dass die Mindestanforderungen an den Wärmeschutz im Bereich von Wärmebrücken eingehalten werden.

Eine Änderung der Innenlufttemperatur um ± 1,5 K kann z.B. durch Heizen oder Lüften kurzfristig erreicht werden, ohne dass sich die Oberflächentemperatur in annähernd gleichem Verhältnis ändert. Gleiches gilt bei dem im streitgegenständlichen Objekt vorhandenen, massiven Außenmauerwerk aus Schiefer für eine Änderung der Außenlufttemperatur. Auch hier ist davon auszugehen, dass sich eine Änderung der Außenlufttemperatur nur stark zeitverzögert auf die Oberflächentemperatur der Innenseite der Außenbauteile auswirkt, soweit die Außenlufttemperatur überhaupt lange genug konstant bleibt.

Weitere Zahlenpaare, die bei konstanter Oberflächentemperatur (14,6° C) den Nachweis erbringen, dass die Mindestanforderungen an den Wärmeschutz im Bereich von Wärmebrücken eingehalten werden, sind z.B.:

Innenlufttemperatur: 18,0° C17,5° C17,0° C16,5° C
Außenlufttemperatur: 6,67° C7,83° C9,00° C10,17° C

Die v.g. Werte liegen teilweise schon relativ nah an den örtlich gemessenen Werten, woraus sich zusätzlich ergibt, dass sich auch aus Messfehlern schnell falsche Aussagen ableiten lassen.

Eine wirkliche Beurteilung der vorhandenen Wärmebrücke, kann nur rechnerisch erfolgen, wobei die Berechnung dann nach DIN EN ISO 10211 durchzuführen ist.

Fazit und Grobdiagnose:

Durch die Anschaffung und Verwendung teurer Geräte und Apparaturen (hier: Wärmebildkamera) wird häufig der Eindruck fachlicher Kompetenz suggeriert, ohne dass diese wirklich vorhanden ist. Frei nach dem Motto, wer soviel Geld in Technik investiert, muss diese häufig einsetzen und wird demzufolge die erforderlichen Erfahrungen und Fachkenntnisse besitzen. Insbesondere Laien verfallen schnell einer solchen Technologiegläubigkeit. Darüber hinaus genießen Handwerker häufig einen Vertrauensvorschuss, da diese durch permanente, praktische Tätigkeit eine vermeintlich größere Erfahrung besitzen müssen als Theoretiker.

Sicherlich kann und wird nicht jeder Sachverständige alle im Laufe seiner Berufspraxis erforderlichen Geräte usw. anschaffen können und wollen. Insofern ist die Hinzuziehung von Firmen, die über entsprechende Geräte, Apparaturen usw. verfügen, sicherlich in manchen Situationen sinnvoll. Allerdings nur dann, wenn gewährleistet ist, dass der beauftragende Sachverständige fachlich dazu in der Lage ist, die Messungen zu beaufsichtigen und die gewonnenen Erkenntnisse richtig zu interpretieren. Dies war im vorliegenden Fall ganz offensichtlich nicht gegeben. Insofern wäre der Sachverständige besser beraten gewesen, die Beweisfrage durch einen entsprechenden Kollegen beantworten zu lassen.

Letztlich hat auch die beauftragte Firma dem Wahrheitsgehalt ihrer eigenen Stellungnahme scheinbar nicht ganz vertraut. Anders lässt sich die gemachte Grobdiagnose:

Die vorhandene Feuchtigkeit im Schlaf- und Badezimmer ist meines Erachtens nach auf einen mangelhaften Wärmeschutz (Wärmebrücke zum Keller) sowie ein nur teilweise akzeptables Nutzerverhalten zurückzuführen.

nicht erklären.

Merke: Wer ein Skalpell besitzt, ist noch lange kein Chirurg.